FORVM, No. 480
Dezember
1993

Wir wollen nach Europa

Als unbezahlter free-lance-Journalist unbeschränkt steuerpflichtig in Milano

Ich fragte, ob sie eine Zeitung hätten. »Warum, haben Sie sich vollgekackt« sagte der Barmann, ein wirklich zartes Wesen.

Stefano Benni, Baol

An einem Tag im Juni 1992 eröffnen die Titelseiten mindestens zweier italienischer Tageszeitungen mit zwei großen Medienereignissen: beide Organe — das eine rechts, das andere (die von Antonio Gramsci begründete »Unità«) links — präsentieren auf ihren jeweiligen Frontseiten rechts ein frisch geschossenes Foto vom »Bürgerkrieg« in Bosnien-Herzegowina: ein auf einer Straße sitzender Mann mit blutüberströmtem Gesicht. Vielleicht ein Journalist? Links daneben wird der leader der Lega Lombarda, der oberitalienischen »Regionalisten« bzw. »Föderalisten«, manche nennen ihn gar einen »Separatisten«, Umberto Bossi zitiert: »Wir sind schon dabei, die Kalaschnikows zu ölen« und »Die Lombarden haben noch nie einen Krieg verloren«.

Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle? Piacere! Mein Name ist Cattani. Nein, nicht was Sie denken, ich bin nicht der Kommissar aus Allein gegen die Mafia, sondern, sie werden lachen, ich bin Informationskritiker.

Was sie eben gelesen haben, war ein attacco. »L’attacco« — der Aufhänger — »deve colpire« — muß schlagen, sagt mein Chefredakteur, er muß schlagen, sagt er, und meint das natürlich metaphorisch. Häufiger noch pflegt der capo zu sagen: »Wir anderen machen Politik, und du, Cattani,« dabei wendet er sich mir zu und die anderen Redakteure grinsen mich alle hämisch an — »du machst critica ...« — und nachdem der capo dann zwei Sekunden lang die Luft angehalten hat, fügt er ein wenig verhalten hinzu: »all’informazione. Dafür bist du hier angestellt, Cattani.«

Das meint er durchaus konkret: Ich, Cattani, bin für das Kritisieren der Information — der von der Konkurrenz verfertigten — »eingestellt« worden und besitze damit die einmalige Chance, mir einen Namen zu machen. Als ehemaliger arbeitsloser Angestellter, der sich, zumal jetzt in der Krise, wo »das Fest vorbei« ist, wie die mass-media in den letzten Jahren öfter getitelt haben, und in seinem Alter kaum noch große Illusionen über seine Marktchancen macht, bin ich dem capo dankbar. Und das, obwohl ich bisher noch keine Lira Honorar gesehen habe! »Man muß Geduld haben und sich erstmal einen Namen machen«, sagt der capo. »Wir alle hier haben am Anfang schließlich den Neger machen müssen, wie du jetzt, ob du nun schon 40 bist oder nicht, das spielt keine Rolle. Tröste dich, Cattani, wir sind schließlich irgendwie alle erst am Anfang.« Das stimmt, wir machen nämlich etwas ganz Neues, ein giornale europeista, eine »europäistische« Zeitung, die möglichst bald überall in Europa — in aller Herren Sprachen übersetzt — sagt man das so auf deutsch? — verbreitet werden und nebenbei den Binnenmarkt beleben soll. Daher hat mein capo auch gesagt, »Cattani, wenn du mal Zeit übrig hast, schreib doch mal was für eine deutsche Zeitung, von mir aus auch für eine Zeitschrift, auf keinen Fall aber für eine österreichische, du kannst doch ganz gut deutsch, dann wissen die Leute schon mal über uns und darüber Bescheid, wie wir arbeiten. Vielleicht bezahlen sie dir auch schon mal etwas.« Das fand ich eine gute Idee vom capo. Ich will seinen Rat daher befolgen und im folgenden versuchen, unsere, d.h. meine Arbeitsweise, also sozusagen den Ansatz der critica all’informazione, anhand des schon eingeführten Beispiels zu illustrieren: Zurück zum attacco also:

  1. Die Zeitungen hätten kommentieren müssen, daß der leader der Lega Lombarda Umberto Bossi lügt. Denn vorausgesetzt, daß mein zugegebenermaßen uraltes Lexikon nämliches nicht tut, haben die

    Longobarden, german. Stamm, 2. Jh. v. Chr. bis 3. Jh. n.Chr. an der Unterelbe, bis 6. Jh. in Mähren. Gründung d. L.-Reichs 568 n. Chr. in Oberitalien (Lombardei) unter Alboin, [1]

    durchaus wenigstens einmal schon einen Krieg verloren, damals nämlich gegen Karl den Großen, welcher deren Lombardei »774 auf päpstl. Hilferuf« eroberte.

  2. Was den andern Teil von Bossis Ausspruch anbelangt, verfüge ich z.Zt. über keinerlei Informationen, ob Anhänger der Lega Lombarda im Besitz von Gewehren sowjetischer Bauart sein könnten. In Bergamo (Lombardei) wurden zwar Ende Mai eine Menge solcher Waffen von der Polizei sichergestellt, die offenbar aus der Schweiz kamen, die Ermittlungen dazu sind aber augenblicklich wohl noch im Gange. Und neulich konnte man zwar in der »Unità«, [2] die dem Pds (Partito democratico della sinistra — »Demokratische Partei der Linken«, Nachfolgeorganisation der KPI, also sozusagen den Posteurokommunisten) nahesteht, von einer privat organisierten »Kriegsübung« von ca. 60 mit Maschinen- und anderen Gewehren bewaffneten »Sonntagsrambos« in den Bergen bei Reggio Emilia, in der ehemals »roten«, lange Zeit von Euro- bzw. Posteurokommunisten regierten Emilia-Romagna also, lesen, doch da wurde nur mit »Spielzeugwaffen« gespielt, die machten, wenn man der Zeitung Glauben schenken darf, »pif-pif«. Die Teilnehmer waren zwar hellauf begeistert: »Wir haben eine ganze Menge von ihnen massakriert, der Wald ist voller Leichen.« Aber: »Es ist ein Spiel und damit basta«, wiederholt ein Veroneser Lega-Fan. »Wenn ich Krieg wollte, würde ich Berufssoldat werden.« (...) »Finden Sie es denn nicht geschmacklos«, fragte mein Kollege einen Teilnehmer, »als Erwachsene Krieg zu spielen, wenn es Leute gibt, die wenige hunderte Kilometer von hier entfernt wirklich sterben? Das ist eine Frage, die ärgerlich macht, die die ›Krieger‹ irritiert«, schreibt er daraufhin, doch die Antwort ist, »›Wir spielen nur, um an der frischen Luft zu sein, um neue Freundschaften zu schließen‹.« Wer naiv fragt, kriegt auch ’ne naive Antwort, kann man da meiner Ansicht nach in Abwandlung eines wahren deutschen Spruches nur sagen! Was hätte der Interviewte denn wohl sonst antworten sollen? Etwa, »Ja, wir finden das auch ekelhaft, aber gerade deswegen macht es uns ja Spaß, verstehen Sie — gerade Sie als Journalist — das denn gar nicht?«

»Ehrlicher sind zwei Mädchen,« fährt mein Kollege fort, »die eine verheiratet und die andere verlobt mit ihren jeweiligen ›Kriegern‹. ›Ich bin ganz aufgeregt‹, sagt die junge Braut, ›es ist das erste Mal, daß ich mit ihm mitkomme.‹ Dieses Spiel ist wunderschön, weil es primitiv ist, dabei kommen alle, die wahren Instinkte des Menschen heraus.«

Stop! Hier muß ich als Informationskritiker sofort einhaken, denn auf jeden Fall muß die Frage aufgeworfen werden, inwiefern die Frauen denn eigentlich »ehrlicher« sein sollen. Was heißt überhaupt »ehrlich«? Auch für sie ist das »Abenteuer« schließlich kein richtiger Krieg. Und dazu ist es auch noch schön, und Instinkte kommen zum Vorschein, wie das ja oft beim Spielen der Fall ist. Vielleicht wollen die Frauen nur darauf aufmerksam machen, daß der Mensch eben unter anderem auch ein Tier ist, was ja gemeinhin nur allzu oft vergessen wird? (Meine Frau vergißt das übrigens auch oft, sie mag manchmal nicht, daß ich Sie auch nur anfasse, will immer nur »reden« und einfach nicht verstehen, daß ich dafür keine Zeit habe, denn ich muß doch Artikel schreiben für Europa.) Was gibt es hier also unterschwellig zu polemisieren? Gar nichts, meiner Meinung nach. Und nebenbei unter Kollegen: Ist es bei der »Unità« etwa schon ausgemacht, daß der Pds im Stadtrat von Reggio Emilia nicht eines Tages doch eine Koalıtion mit der Lega eingehen will? Es waren bei dem Spiel doch auch Lega-Anhänger mit von der Partie. Vorsicht, Kollege! In Bologna hat es jedenfalls schon ein paar Schnuppergespräche unter den leaders der beiden Parteien, die eine links, die andere rechts, gegeben. (Damit Sie mich nicht mißverstehen, ich hantiere noch mit so abgegriffenen Begriffen wie links und rechts, weil ich noch keine besseren griffigen Etiketten zur Hand habe und obwohl ich selbstverständlich weiß, daß der capo recht hat, wenn er sagt, es gebe kein links und kein rechts mehr, sondern nur noch Europäer einerseits und andererseits Nicht-Europäer wie Österreicher, Dänen und Serben.)

Doch weiter im Text: »›Mein Mann ist bestimmt kein Pantoffelheld. Aber zu Hause ist er sehr zärtlich zu mir.‹ Die Verlobte des Kriegers sagt, daß es »›phantastisch ist, ihm in dieses Abenteuer zu folgen‹.« Nach der Schlacht, in der Bar, gekochte Eier und Schulterklopfen. Einige müssen noch dreihundert Kilometer fahren, um ins Piemont oder in die Lombardei zurückzukehren. »Tut mir leid, dich umgebracht zu haben. Aber Krieg ist Krieg. Bis zum nächsten, Leute, bis zum nächsten.« Aha! Das »bis zum nächsten« ist zweideutig, da der Ausspruch »alla prossima« eigentlich »bis zum nächsten Mal« bedeutet, sich hier jedoch ebenso auf »den nächsten Krieg« beziehen kann. Das hat der Kollege ganz geschickt gemacht; vielleicht hat er die beiden Aussagen, irgendetwas aussparend, gar absichtlich hintereinander plaziert? Worauf will er also eventuell unterschwellig anspielen? Etwa schon wieder darauf, daß die »Kämpfer« es mit ihren Spielen vielleicht ernst meinen könnten, sich damit gar auf irgend etwas vorbereiten? Ja, worauf denn? Auf einen rein hypothetischen »nächsten Krieg« etwa? Polemisch! Warum hat er stattdessen wieder nicht die aufschlußreichen Aussagen der weiblichen Zuschauer- bzw. Teilnehmerinnen des Spiels analysiert? Warum sollte ein Pantoffelheld nicht zärtlich sein können? Wo sollte da ein Widerspruch sein? Das hat er nicht analysiert! Warum wohl nicht!?

Nun, als Ergebnis halten wir fest, daß die Kameraden in Reggio Emilia lediglich Krieg gespielt haben.

Bossi dagegen, der leader, — klingt übrigens irgendwie doppelt gemoppelt, schon aufgefallen? — gab wenige Stunden nach seiner Kalaschnikow-Drohung zum besten, daß er nur einen Witz habe reißen wollen. Fazit: Alles nur Spiel und Spaß, wie man so schön auf deutsch sagt. Und? Das wäre aber doch wohl noch keine Nachricht wert! Oder war da sonst noch was?

Nun gut, man könnte auch Einwände erheben: Einige Tage nach der Bossi-»Drohung« hörte ich z.B. rein zufällig über einen — allerdings relativ linken, das muß ich dazu sagen! denn ich, Cattani, mache critica all’informazione — Radiosender einen »italienreisenden«, schreibt sich das so? zusammen? getrennt? groß oder klein? ich habe meinen Deutschkurs leider aus finanziellen Gründen aufgeben müssen — ich hörte also einen ehemaligen jugoslawischen Journalisten — oder sollte ich besser sagen: ehemalig jugoslawischen? oder ehemals jugoslawischen ehemaligen Journalisten? Jetzt ist mir der Satz abgestürzt!

Versuchen wir’s mit einem Neuanfang: Der jugoslawische oder ex- oder wie auch immer, jedenfalls nunmehr — wie ich — wenn er hiergeblieben ist, wohl zunächst unbezahlte Journalist hatte allerdings gesagt, mit solchen Tönen (er bezog sich auf Bossis Kalaschnikows) hätte es bei ihm zuhause auch angefangen. Leider leider aber muß ich da als Informationskritiker — nebenbei auch im Namen des capo, der solchen Quatsch nie unkommentiert durchgehen läßt — wieder einmal energisch widersprechen, denn — wie man so schön auf deutsch sagt — Vergleiche hinken. Der Bossi scherzt doch nur, tut nur so als ob, spielt, will vielleicht ein paar neue Freundschaften schließen und »ist bestimmt kein Pantoffelheld. Aber zu Hause ist er sehr zärtlich zu mir«. Und letztendlich bleibt er, selbst wenn er seine roots in Cuxhaven oder Pinneberg haben sollte, doch Italiener wie wir alle, Milano ist schließlich auch nicht Sarajewo oder sonst ein Dorf in einem ehemals kommunistischen, sondern in einem zivilisierten Land. Und ein italienischer Reim besagt schließlich: »Zwischen dem Reden und dem Tun liegt in der Mitte das Meer«, das, wenn man es konkret betrachtet, in diesem Fall ja gottseidank mehr als gut bewacht ist, nicht nur durch unzählige Bademeister in Rimini und Riccione etc., sondern auch durch AWACS, Mirage, A-10, F-16 oder 17 oder 18, Atom-U-Boote, Flugzeugträger und pi-pa-po, wie man so schön auf deutsch sagt, wie auch, wenn ich richtig informiert bin, durch das eine oder andere deutsche Schiff, stimmt’s?, aber die machen wahrscheinlich sowieso nur pif-pif und spielen nur. Hier droht also auch keine Gefahr!

Daß der leader Bossi im Herbst vergangenen Jahres, als die arme Lira gegenüber der »Supermark«, wie wir italienischen Journalisten gewöhnlich zugegebenermaßen teils neidisch, teils aber auch augenzwinkernd titeln, wieder einmal gewaltige Kursverluste erlitten hatte, die italienischen Bürger dazu aufrief, ihre Ersparnisse von den staatlichen italienischen Titeln, den Bot, abzuziehen, um sie stattdessen lieber in deutsche Wertpapiere zu investieren, um damit Rom, der Mafia und dem ganzen Rest des korrupten Parteienhaufens den Garaus zu machen, war schließlich sein gutes Recht; wir haben auch hier in Italien schließlich freie Marktwirtschaft, die nur noch radikal von der Korruption bereinigt werden muß, dann wird es schon wieder flutschen. (Paßt das Wort in diesem Zusammenhang? Mein Deutschlehrer benutzte es oft.) Der ehemalige Ministerpräsident Italiens Amato hat schließlich nicht dazu kommentiert, wie die »Unità« [3] wiederum nahezu demagogisch titelte, die leghisti seien »Umstürzler und Diener Bonns«, sondern er hat lediglich von »Verhaltensweisen, die letztlich umstürzlerisch werden«, und davon, daß die »Lega am Ende zu einem der vielen ›Partikularismen‹ der italienischen Geschichte werden wird, die nach dem Ausländer rufen«, gesprochen und hinzugefügt, daß »in diesem Fall (...) der Ausländer Mark (heißt)«. Jedenfalls war es eine Niedertracht von seiten der korrupten Altparteienbande, Bossi deswegen mit Prozessen zu drohen; verzeihen Sie bitte den Ton, aber die sollen nur endlich mal das Maul halten, das sind doch alles korrupte Mafiosi! Entschuldigen Sie bitte den Ton!

Auch in diesem Fall ist jedoch jedwede Aufregung fehl am Platz; schließlich dauern Prozesse hier ohnehin ewig, wovon ich, der ich aufgrund eigener Kündigung aus Wohnung und Angestelltenverhältnis — weswegen ich im übrigen auch dank zufälliger Bekanntschaft mit dem capo freelance-Journalist geworden bin — vor einiger Zeit mit Frau und Kind wieder zu meiner Mutter gezogen bin, deren Kündigung im Gegensatz zu meiner noch nicht rechtskräftig ist, obwohl das Geschrei meines kleinen Sohnes in dem kleinen überhitzten Zimmer hier während des Artikelschreibens nicht gerade immer meiner Konzentration zuträglich ist — wovon also ich, Cattani, nun allerdings endlich auch einmal profitieren darf.

Was die Konfusion betrifft, so sind wir Italiener davon in letzter Zeit ohnehin fast durch die Bank immer mehr betroffen (schönes deutsches Wort) — außer Bossi vielleicht, der klare Vorstellungen hat; jedenfalls wende ich diese Interpretation auch auf die Tatsache an, daß der capo in der letzten Redaktionssitzung auf meinen zugegebenermaßen ziemlich unausgewogenen informationskritischen Hinweis bezüglich einer Unwahrheit über die Serben in seinem Leitartikel ganz aufbrausend geworden ist und mich und den Rest der Redaktion angebrüllt hat, wobei er sich fast wıe Bossi anhörte, wir sollten endlich kapieren, daß es im Journalismus, wenigstens im italienischen, um alles geht, nur nicht um die Wahrheit. »Wir machen Politik«, hat er, wieder etwas beruhigt, zu den anderen gesagt, und mir zugewandt: »und du, Cattani, du machst critica ... all’informazione.« Wobei die anderen mich wieder alle blöd angegrinst haben.

Wie auch immer, Bossi hat sich mit seinem »Andienen«, wenn man es denn einmal zum Spaß polemisch so nennen will, an die Mark einstweilen ohnehin nicht durchsetzen können, denn inzwischen ist ihm der Retter der Lira zuvorgekommen, in Gestalt des neuen italienischen Ministerpräsidenten Carlo Azeglio Ciampi nämlich, der zuvor das Amt des Staatsbankpräsidenten bekleidet hatte und in seiner Regierungserklärung Ende April der italienischen Währung — und implizit der Weltbank, die sehr um Italien besorgt ist und dem Land, optimistisch genug, eine 12-prozentige Arbeitslosenquote vorausgesagt hat —, den »Allianzen« Italiens sowie wenig später dem US-Präsidenten Bill Clinton bedingungslose Loyalität geschworen hatte, als es — anscheinend — darum ging, die Serben zu bombardieren.

Aber daraus wurde dann ja erst einmal nichts. Obwohl wir Journalisten ja nahezu durch die Bank (die Wortwiederholung »Bank« ist hier rein zufällig, mir gefällt nur dieser schöne deutsche Begriff: »durch die Bank«!) dafür gewesen waren und das ganze nach Kräften mit den allerschärfsten Serbenmeldungen hatten (man braucht ja heutzutage dank uns nur noch Serben zu schreiben, und die Leute gehen schon Schutz und nach einem leader suchend in Deckung) und weiterhin bedingunslos bereit sind, es zu tun; selbst ich durfte mich seinerzeit ein bißchen an der Politik beteiligen und hatte zur Einstimmung auf meinen Artikel eingehend mehrere Ausgaben angesehener deutscher Zeitungen von links (Der Spiegel) bis Mitte (FAZ) studiert. Weswegen ich allerdings, wie ich es eigentlich gehofft hatte, obwohl ich zu jener Zeit Tag und Nacht an meinem Stück, wie wir italienischen Journalisten unsere Artikel nennen, herumgefeilt hatte, um das Beste — also sozusagen meine »wahren Instinkte« — aus ihm und aus mir herauszuholen, immer noch keine konkreten Aussichten auf eine Festanstellung bekommen habe, wenngleich der capo während einer Nach-Krisen-Redaktionssitzung allerdings meinen »humanitären Kräfteeinsatz in der Krise« lobend hervorgehoben hat. Der attacco zu meinem ersten direkt politischen Artikel auf Seite 2 hatte übrigens angehoben: »Es war keine leichte Entscheidung, und sicherlich wird sehr viel mehr Blut fließen, als wir befürchtet haben, aber die Serben ...« Unsere Auflagenkurve war erst eine Woche später wieder abgeschlafft (sagt man das so auf deutsch?) — die Konsumenten waren wohl anhaltend stimuliert gewesen und fragten sich verständlicherweise noch eine ganze Weile lang: Na und? Was ist nun mit den Schlägen? und mit dem Feuerwerk im Fernsehen? Habt ihr uns schon wieder nur beim Arsch genommen? (So sagt man jedenfalls auf italienisch.) Zum Glück (für die Auflage) — na, oder auch leider! humanitär betrachtet — kamen danach wieder einige Serbendrohungen herein, vor allem diejenige Seseljs mit den Nuklearabfällen, die auf Italien abgefeuert werden sollten — schlimm! ob er es wirklich gesagt hatte, weiß ich nicht, der capo sagt nämlich, daß man mit Quellenprüfungen viel zuviel Zeit verliert —, und dann jede Menge Bomben und Bombendrohungen bei uns zu Hause, in Rom und Florenz, und dann wieder in Rom usw. usf. ... Auf die erste hin hatte der bekannte Talkshowmaster Maurizio Costanzo, übrigens Ex-Mitglied der Geheimloge Propaganda 2, der vor längerer Zeit mal ein paar deutsche Nazis in seiner Show zu Besuch gehabt hatte, die er allerdings für mehr oder weniger ungefährliche kleine Kinder hielt, über die man nur lachen kann, nicht nur gemeint, die Bombe von Rom hätte ihm selber gegolten, sondern auch — in seiner Kolumne in einer großen Tageszeitung — man wüßte ja, daß die Serben einen »schlechten Charakter« hätten. Haben Sie auch die subtile Ironie bemerkt, die in jener Aussage steckt? Phantastisch, kann ich als Informationskritiker dazu nur sagen! Nun, die Ermittlungen gehen inzwischen wohl mehr in Richtung Mafia und Geheimdienste — wenn sie überhaupt in irgendeine Richtung gehen.

Um aber nicht zu weit abzuschweifen und wieder auf unser Ausgangsthema zurückzukommen: Bossi reklamierte dagegen mit einiger Verspätung gegenüber dem Publikumsliebling Costanzo die Florentiner Bombe für sich und die Lega Nord. Um Mißverständnissen vorzubeugen: »für sich« nicht in dem Sinne, daß er sich wieder einen Spaß erlaubt hätte, sondern in dem Sinne, daß sie gegen ihn und die Lega Nord gerichtet gewesen wäre, obwohl auch bei dieser zweiten Bombe in irgendeinem Zeitungskommentar die gegenteilige Behauptung zu lesen war, daß es wieder die Serben gewesen wären. Vielleicht handelt es sich hier gar nicht um zwei sich wechselseitig ausschließende Hypothesen? Vielleicht sind die Serben schon viel weiter und richten ihre Bomben »vorsorglich« gleich direkt gegen die Lega Nord? Das ist jedoch eine Mutmaßung oder zumindest noch »Zukunftsmusik«, wie man, glaube ich, auf deutsch sagt. Ich, Cattani, mache aber keine Politik, sondern nur critica all’informazione und stelle an dieser Stelle nur fest, daß nicht wenige leaders hier sich für Opfer der Serben halten, was mein capo sicher auch schon für eine sehr gewagte Feststellung halten würde.

Was allerdings vollkommen fest steht, ist, daß ich in diesem Moment immer noch Opfer meines Sohnes bin, der einfach nicht mit seinem erbärmlichen Geschrei aufhören will. Wahrscheinlich hat er sich wieder vollgekackt, ich meine etwas zu riechen. Meine Frau scheint weiter zu schlafen. Ich frage mich immer, wie sie das macht! Na ja, hier in Italien muß man sich allerdings an einiges gewöhnen, um halbwegs über die Runden zu kommen, zumal als Journalist, auf so engem Raum. Und dazu höre ich noch den lauten Autoverkehr von der Umgehungsstraße her, es ist Samstagnacht und die Leute kehren von den Diskotheken und Freßgelagen heim. Ich frage mich immer, woher die das viele Geld noch nehmen. Meine Frau hat jedenfalls die Ruhe weg, wie man so schön auf deutsch sagt. Die Glückliche!

Vom Fenster aus sehe ich übrigens neben der großflächigen beleuchteten Honda-Werbung (Slogan: «totale Führung«), wo gestern noch eine andere Autoreklame war (Slogan: »stählernes Denken«, die dazugehörige Marke muß ich irgendwie verdrängt haben) und derjenigen für den neuen Hewlett Packard-Drucker — den ich statt meiner alten Olivetti auch gern hätte (Slogan: »Da werden manche Appetit bekommen«) — auch den Graffito-Spruch am Betonpfeiler der Autobahn: »Europa will uns nicht — wählt Lega!« Ja doch, wir wollen nach Europa! Unsere Zeitungen sind voll davon: Europa, Europa, Europa! »Den Anschluß nicht verpassen«, sagt der capo, wobei er Anschluß — schönes Wort -— auf deutsch sagt, ein paar Brocken deutsch kann auch er. Der capo hat recht, auch wir Journalisten (zumindest hier im Norden) wollen nach Europa, also weiter nach Norden, weswegen ich schließlich auch mit letzter Kraft und trotz des Geschreis meines Sohnes und seiner vollgekackten Windeln in der stickigen Hitze dieses gut 12 m2 großen Zimmers einen Artikel in dieser großen Kultursprache zu verfassen versuche, denn »sonst hocken wir hier bald statt zu dritt wie die da unten in Neapel oder Palermo zu acht auf einem einzigen Zimmer, stimmt’s, Cattani?« Stimmt, capo! Nach dem Sommer soll es schon wieder jede Menge Steuererhöhungen geben, die wollen uns wohl langsam, aber sicher strangulieren! Heute habe ich im Radio gehört, daß die Regierung des ehemaligen Staatsbankpräsidenten Ciampi nun diese neue Extra-Steuer hier erfunden hat: für regelmäßig unabhängig arbeitende Arbeiter. Sie werden lachen, darunter falle auch ich als free-lance-Journalist! Jetzt habe ich, obwohl ich, wie wir so schön sagen, »den Neger mache«, den capo, dank der Swatch, die ich ihm zum Namenstag geschenkt habe, endlich soweit, daß er mir ein paar erlogene Bescheinigungen darüber ausstellt, daß er mir für meine Artikel Geld bezahlt, damit ich irgendwann einmal zwecks Rentenanspruch in die Journalistenvereinigung aufgenommen und fest angestellt werden kann, und nun soll ich dafür, daß ich nichts verdiene, auch noch Steuern bezahlen! Porca miseria! Ja, was hat sich denn geändert?! Was ändert sich denn? Nulla!!! Es wird alles nur immer noch schlimmer!!!

Und wenn diese Parteien keine Wahlen wollen, dann werden wir ihnen einen neuen Befreiungskrieg bescheren.

Im Falle eines Aufschubs der Wahlen wird man »gezwungen« sein, »zur Kenntnis zu nehmen, daß wir es mit einem Regime zu tun haben, das eine Wendung zum Totalitarismus vollzieht«, und wird seine »Pflicht tun«.

Das erinnert fast an linke Propaganda, stimmt’s? Aber keine Angst, das ist nur wieder Bossi, der leader. Die Regierung Ciampi wird allerdings nicht nur von ihm verdächtigt, bis zu den nächsten regulären Wahlen am Ruder bleiben zu wollen, obwohl sie eigentlich nur zu dem Zweck instituiert wurde, in kürzestmöglicher Zeit und über alle Parteien hinweg — »Über allem Italien, über allem Italien!« (Staatspräsident Scalfaro) — die »Reform der Institutionen« und in jenem Zusammenhang vor allem die Umwandlung des italienischen Wahlrechts vom Verhältnis- in ein Mehrheitswahlrecht zu vollziehen — so haben im übrigen auch wir Journalisten mit überwältigender [Mehrheit], fast möchte man sagen: fast durch die Bank (wiederum kein Doppelsinn!) das Ergebnis des am 18. April abgehaltenen Referendums interpretiert, bei dem die überwältigende Mehrheit (über 80%) der Bevölkerung gesagt hat, nicht zuletzt eben, oder gar vor allem, wage ich zu sagen, aufgrund unserer Aufklärungsarbeit, die dergestalt designed gewesen war, daß in der überwältigenden, ja nahezu erdrückenden Mehrheit aller Fälle, in denen in unseren titoli ein auftauchte, ganz dicht daneben ein cambia stand, so daß, wenn man also mit Ja stimmte, sich dann also auf jeden Fall etwas radikal ändern würde. Klar, daß viele Leute jetzt ungeduldig werden, besonders die, die wollen, daß sich wirklich etwas ändert; der Ciampi soll sich beeilen und dann abtreten, wie es abgemacht war. Linke Kritiker wollten statt des Referendums damals übrigens lieber gleich Neuwahlen, da die Altparteien zu jenem Zeitpunkt noch nie so schlecht dagestanden hatten, aber auf die hat dank uns Journalisten, die wir uns unserer Verantwortung in der Krise bewußt sind, gottlob keiner gehört. Nun sind die Wähler wieder z.T. enttäuscht, z.T., das muß man dazu sagen, aber auch wieder beruhigt, denn die Lira hat seitdem wieder gegenüber der Mark zugelegt. Daran sieht man: Die Demokratie funktioniert. Die »Firma Italien«, wie wir Journalisten sie in den Achtzigern gern zu nennen pflegten, genießt einstweilen an den internationalen Börsen fast durch die Bank wieder Vertrauen.

In der jetzigen Situation, nachdem die traditionell regierenden Parteien, »Christdemokraten«, »Sozialisten«, »Sozialdemokraten«, »Liberale«, »Republikaner« (alles Namen übrigens, die wir, bis auf den ersten vielleicht, in der nächsten Zeit getrost vergessen dürfen), was die Wählergunst betrifft, vor allem weil ihre leaders fast durch die Bank unter Schmiergeldverdacht stehen, gewaltig abgesackt sind, rechnen sich nur noch der Pds (Europostkommunisten, die sich erhoffen, wo sie endlich keine mehr sind und folglich kein Militärputsch mehr droht, endlich auch mal ein bißchen regieren zu dürfen, obwohl ihnen eigentlich immer noch kaum jemand glaubt, daß sie es wirklich wollen), die Lega und die Rete, die wir allerdings hier vernachlässigen — das sind nämlich in der Hauptsache Süditaliener (Süditalien fängt für uns im Norden hinter dem Appennin, bei Prato oder Florenz, notfalls auch hinter Rom an, je nachdem, was es uns bringt) — Chancen aus, mit dem Mehrheitswahlrecht etwas zu gewinnen. Die kleinen Parteien, wie etwa Rifondazione comunista (»Kommunistische Neubegründung« — völliger Blödsinn!) wären dann endlich weitgehend weg vom Fenster, wie man so schön auf deutsch sagt, so hoffen wir, und wir hätten endlich eher euro-amerikanische Verhältnisse. Doch, zu dumm, Lega und Pds sind nicht an der »Techniker-Regierung« Ciampis beteiligt worden. Dumm zudem, daß die Regierung Ciampi von den Altparteien gestützt wird, die kaum ein Interesse an Neuwahlen haben können. Und dümmer noch, daß ausgerechnet jetzt auch dem Pds noch ein paar Tangentenskandale — im Verhältnis zu den immer schon herrschenden Parteien allerdings bisher verschwindend wenige — angehängt wurden!

Bei uns in der Redaktion ist in diesem Zusammenhang noch keine klare Order gegeben worden, ob wir in dieser Hinsicht verstärkt kreativ werden sollen, um dem Pds ein bißchen nachzuhelfen; die Haltung des capo und also die der Sponsoren, wie wir sie nennen, besteht im Abwarten der nächsten Wahlen, schließlich ist der Pds zumindest hier in der Region Emilia-Romagna noch an der Regierung, so daß in der Zwischenzeit, wo die Dinge sich noch in der Schwebe befinden, obwohl Umfragen zufolge auch hier schon ca. 27% der Wähler der Lega zuströmen, es jedem einzelnen und besonders den freien un- oder schlechtbezahlten free-lance-Mitarbeitern wie mir einstweilen noch freigestellt ist, von welchem Sponsor sie persönlich sich sponsern lassen. Der capo ist im Augenblick noch mit Vorbehalten für Ciampi, den Banker — auch der Rest der Redaktion, so scheint es. Ich selber habe bisher sowieso noch keinen Sponsor gefunden und kann mir daher manchmal mehr Pressefreiheiten erlauben.

Um zur critica all’informazione zurückzukehren, fassen wir noch einmal zusammen: Die Zeitungen verteufeln Bossi zwar zum Teil, aber vielleicht doch nur, weil er sich zum Fürsprecher und leader der unkorrupten anständigen Bürger vor allem des Nordens macht und am heftigsten und unmißverständlichsten auf Veränderung drängt, und daraus erklärt sich wohl auch sein wahrscheinlich etwas schroffer Ton. Klar, Europa will uns so nicht, und wenn wir hier noch lange weiter für uns alleine rumwurschteln, wie man so schön auf deutsch sagt, und uns arrangieren wie die Süditaliener etc. etc, dann ...

Bossi sagt, daß die Lega wahrscheinlich »eine demokratische Kraft bleiben« werde, »die gewisse Mittel nicht anwendet, doch fatalerweise würden im Land politische Formationen nach dem Muster des Partisanenkampfes entstehen. Eher als um einen Bürgerkrieg würde es sich um einen Partisanenkampf handeln,« wiederholt er noch einmal, »der aber unvermeidlich wäre.« Somit wahrscheinlich Befreiungskampf und keineswegs Okkupation durch Ausländer wie Karl den Großen oder Supermark. Berufung auf demokratische Traditionen zudem, gegen, nicht für Faschismus, und das Subjekt des Partisanenkampfes ist wohlgemerkt nicht einmal die Lega Lombarda selbst, die wahrscheinlich eine demokratische Kraft ist, sondern »man« und sein Ursprung ist »fatal« und also wahrscheinlich ungewollt! Klarer geht es eigentlich nicht mehr!

M.E. hat er auch gar keinen Partisanenkampf nötig. Er erzielt mit seiner Bewegung in der letzten Zeit hier im Norden bei Wahlen schon gute 30-40 Prozent. Damit hätte er nach dem Mehrheitswahlrecht — wie Tudjman in Jugoslawien, sagen übrigens lernunfähig, wie sie sind, einige übriggebliebene linke Polemiker, wie die von Rifondazione comunista, völliger Blödsinn! — damit hätte er im Gegensatz zu dem restlichen zerstrittenen Haufen schon um die 60 Prozent im Parlament, und einige Städte des Nordens wären schon fest in seiner Hand. Er darf also guter Hoffnung sein: »Wenn die Antwort des Landes auf die Notwendigkeit der Veränderung so gewaltig ist, darf man sich nicht von vier Küchenschaben unterkriegen lassen, nur weil sie sich DC, Sozialisten oder Kommunisten nennen (...) Wir werden sie zwingen, (in die Wahlkabinen) hineinzugehen«, »notfalls mit dem Gewehr«. Und ist wohl auch daher um einiges moderater geworden, klingt nicht mehr so aggressiv wie im Falle der Kalaschnikows. »Weniger serben-, mehr kroatenmäßig«, wie mein capo es ausdrückt. Aber Vergleiche hinken ja.

Machen wir nur weiter unbeirrt critica all’informazione und wagen auch ruhig einmal einen Blick ins Innere einer Zeitung:

Anläßlich eines Mordes in einem der »Zentren für die erste Aufnahme von extracomunitari (wörtlich: Außergemeinschaftliche, d.h. von außerhalb der EG, C.C.)« in Mailand, die sich, so der Resto del Carlino gleichen Datums auf Seite 6, »in regelrechte unabhängige Republiken verwandelt haben, zu denen die Polizei keinen Zutritt hat, wo es unmöglich ist, die elementarsten Kontrollen durchzuführen und wo Drogen, Waffen, Handel mit illegalen Dokumenten zusammen mit der Plage des Bettplatzrackets zirkulieren« — hat sie gut gesagt, die Kollegin oder ihr Redakteur, obwohl die zirkulierende Plage zwar recht gefährlich klingt, mir persönlich aber rein informationsästhetisch nicht besonders zusagt, sie ist aber wohl dem Zeitdruck anzulasten — anläßlich eines dort verübten Mordes hat Umberto Bossi einen Tag vor seiner scherzhaften »Drohung« mit den Gewehren seinen »Wählern versprochen, es würden keine weiteren Zentren eingerichtet werden, und (...) die Auflösung und die Schließung aller existierenden Zentren gefordert, um damit »alle potentiellen Verbrechensherde« zu eliminieren.« [4] Wir sehen also, um »ethnische Säuberungen« in jener »Kraina« geht es Bossi zweifellos nicht (andernfalls müßte man das schließlich auch einem Kohl und vielen anderen vorwerfen!), sondern allenfalls um saubere Verbrechensbekämpfung — schließlich hat Bossi im vorliegenden Zusammenhang auch nicht von »Kakerlaken« gesprochen, nicht wahr?, und das sollten wir Journalisten ihm zugute halten. Meine Kollegin oder ihr capo-redattore vom Resto del Carlino tut das auch gleich: »Ein Wahlkampfsatz, der nicht dem gut Teil von ehrlichen Menschen Rechnung trägt«, die in dem Zentrum schließlich auch wohnten. Abgesehen davon, daß wir hier eigentlich wieder fragen müßten, was denn eigentlich »ehrlich« heißt, kann man da nur sagen: Sauber (ein schönes deutsches Wort übrigens). »Wenn schon Säuberungen, dann wenigstens saubere, für die Dreckarbeit haben wir doch auch Nazis und die Geheimdienste, die letzteren brauchen wir nur kurz umzuschulen«, sagt auch mein capo. Stimmt, wir wollen nach Europa. »Wo sollen wir denn schließlich sonst hin wollen? fragt der capo mich oft und antwortet, mir mit Sinn für Humor auf die Schulter klopfend: »Oder willst du etwa nach Japan, Cattani? Ich sag jedenfalls immer: Lieber Golf als Mistupisci. Lieber Krausewitz als Elasmus von Lotteldam.« Morgen geht er übrigens wieder mit einem neuen Sponsor Golf spielen, in der Redaktion wird gemunkelt, es handele sich um einen deutschen. Aber das sind unbestätigte Gerüchte, und Quellenprüfungen sind zeitraubend. »Na und?« sagt der capo im übrigen immer, »Was ist denn schon dabei, schließlich gehe ich doch nicht mit ihm ins Bett! Halt du dich mal da raus, Cattani, wir machen Politik und du machst ... critica all’informazione.« Und die anderen grinsen mich wie immer blöde an.

Zurück also auf Seite 1: »In diesem politischen Krieg« stehen »zwei Feldschlachten« an, die »Eroberung Mailands und Turins, die Lega-Bürgermeister haben müssen, und die Endschlacht um die Parlamentswahlen (...) In den nächsten fünf Monaten wird alles verbrannt werden, und in dieser Zeit wird man uns für alles die Schuld geben, was das heruntergewirtschaftete Regime hervorholen kann, um damit unser Image zu besudeln.«

Sauber! Als Informationskritiker finde ich allerdings auch, man sollte endlich aufhören, ihn als Rassisten oder gar als Faschisten in den Schmutz zu ziehen. Das geht völlig an der Sache vorbei: Ich habe kürzlich in seinem neuen Parteibüro, übrigens in der Via Che Guevara Nr. 4 — also noch einmal Betonung auf Befreiungskrieg! —, den leader der Lega von Reggio-Emilia interviewt; so unsympathisch schien der mir gar nicht mehr, als ich ihm gesagt hatte, daß ich einen Artikel in der Hoffnung auf Veröffentlichung durch eine deutsche Zeitung schreibe. Er hat mir mindestens fünfmal und ohne, daß ich ihn danach gefragt hätte, versichert, daß die leghisti keine Rassisten wären, und daß nach dem höchst begrüßenswerten neuen Ausländergesetz — nach dem jeder Außergemeinschaftliche, der es wagt, im Supermarkt eine oder mehrere Dosen geschälter Tomaten, die von seinen Landsleuten in Süditalien im Akkord unter Mafia-Aufsicht (umgerechnet sicher weit über 2 Mark die Stunde bekommen die da, also weit mehr als ich!) gepflückt wurden, zu klauen, unverzüglich zwar nicht ins Meer zurückgeworfen, aber doch flugs dahin verbracht wird, von wo er gekommen ist — der Lega-leader hat mir also versichert, daß in Reggio Emilia nach dem neuen Ausländergesetz als erste gar eine Österreicherin ausgewiesen worden wäre, weil ihre Papiere nicht in Ordnung gewesen waren. Das wäre schon ein wenig peinlich, denn das Gesetz war ja nicht gegen Europäer gemacht worden.

»Geschieht der Österreicherin ganz recht, wer nicht mit uns ist, ist gegen uns!« hat dagegen mein capo zwar ziemlich gefühlskalt, doch eher scherzhaft kommentiert. Der namenlose capo-gruppo (Gruppen-Kopf) der Lega Nord im Stadtrat von Reggio Emilia jedenfalls ist auf jeden Fall für noch viel mehr Kontrollen an Italiens Küsten. Ich könnte mich ja wohl noch an die Ankunft der Albaner damals erinnern, und da sah ich in seinen glasigen Augen, er hatte schwer darunter gelitten. Die Lega wollte nur, daß endlich die Gesetze angewendet würden, wie in Deutschland eben, und wenn jemand in seiner Partei sagen würde, er wollte Jagd auf Außergemeinschaftliche machen, «würde ich ihn aus der Partei verjagen». Hat er wörtlich und ebenfalls mehrfach gesagt. Wer möchte ihm das also nicht glauben! Mein Interviewpartner, der nach meinem Eindruck eine ziemlich starke Fahne hatte, was ich allerdings nicht genauer überprüft habe, weil Quellenprüfungen zu zeitraubend sind, wollte mir (obwohl er sich meinen dagegen hastig aufgeschrieben hat) komischerweise seinen eigenen Namen nicht nennen. Sein mitanwesender jugendlicher Parteikollege hat sich aber sehr freundlich mit »af Wiedesen« von mir verabschiedet. Die beiden haben mir umfangreiches Info-Material mitgegeben, darunter ein Programm der Lega, das endlich mit den ganzen Vorurteilen aufräumt: Problem: »Sind wir sicher, daß wir Leute brauchen, die an den Kreuzungen Windschutzscheiben waschen oder die zum Nachteil des regulären Handels, der vielfältigen Zwängen unterliegt, Gegenstände auf den Straßen verkaufen?« Lösung: »Zulassung außergemeinschaftlicher Bürger nur unter bestimmten Voraussetzungen: Sie müssen schon einen Arbeitsplatz und eine Wohnung haben, und die Betriebe, die sie anfordern, müssen angemessen vorsorgen. Dabei versteht sich, daß diese Zulassungen nur nach vorherbestimmten jährlichen Quoten erfolgen dürfen.« Also, wie von mir schon längst richtig vermutet, kein Rassismus, sondern nur wie jetzt auch in Deutschland und der EG insgesamt die freundliche Aufforderung: Danke, ist ja nett gemeint, aber wir brauchen Ihre Hilfe hier nicht, sehen Sie, wir haben selbst automatische Scheibenwaschanlagen, Waschstraßen und Supermärkte. In der Regionalbeilage Völker des Nordens (Emilia Marche Romagna) der Lega-Zeitung — ansprechendes Lay-out, handliches Format, mit mehrseitigen Analysen des leaders Bossi — beschweren sich die leghisti u.a. darüber, daß die anderen korrupten Parteien schon dabei seien, der Lega ihr Programm zu klauen. Tatsächlich ist sogar meine Zeitungsredaktion schon fast durch die Bank dafür, daß es mit der Einwanderung hier so gehandhabt wird wie in Deutschland. Man sieht also auch hier wieder deutlich, wir wollen um jeden Preis nach Europa.

Ich muß jetzt schließen. Ich fasse zum Abschluß nur noch einmal informationskritisch zusammen, daß es eine ziemliche Unverschämtheit ist, wie die ex-kommunistische »Unità« die Lega Nord in die Nähe von Söldnern im ehemaligen Jugoslawien zu stellen. Die ganze Wahrheit ist ganz einfach, daß wir nach Europa wollen.

Um nicht völlig mißverstanden zu werden und unter der Voraussetzung, daß der mir von Ihrer Redaktion zugestandene Platz das zulassen sollte, nutze ich hier die Gelegenheit, um Albanern, Serben, Bosniern, Polen, Russen, Senegalesen, Somalis, Mazedonen, Zigeunern, Österreichern und Dänen an dieser Stelle für die Zwischenzeit dennoch — und ganz ausdrücklich auch im Namen des capo — viel Glück und Erfolg bei der Wohnungs- und Arbeitssuche zu wünschen; unsere europäische Zeitung wird übrigens irgendwann vielleicht auch im außereuropäischen Ausland — vorwiegend an Touristenorten — zu haben sein, schauen Sie ruhig mal in den Anzeigenteil hinein!

Noch ein paar konkrete, hilfreiche Tips aus eigener Erfahrung:

Wohnung: Wenn Sie eine Wohnung mieten wollen, brauchen Sie hier, weil die Vermieter aufgrund der Tatsache, daß das das — kann man das so auf deutsch schreiben? wenn der Artikel bezahlt wird, kann ich vielleicht meinen Deutsch-Kurs wieder aufnehmen! — daß das also das 4- bis 25-fache an Profit bringt, verständlicherweise das Mietrecht umgehen, die Deckung durch eine AG (S.p.a) oder GmbH (s.r.l.), die die Wohnung gegen eine kleine Aufmerksamkeit (ab 1.000.000 Lire, also ca. 1000 Supermark aufwärts) zum Schein für Sie anmietet, Sie figurieren dann praktisch als Firmenvertreter, der die Wohnung hin und wieder auf Geschäftsreisen — etwa zum Abschluß von Verträgen oder »galanten Verabredungen«, wie wir Italiener sagen — nutzt, oder Sie müssen sie selber als »Zweitwohnung« mieten, was aber genauso teuer wird; und viele Vermieter lassen sich ohnehin auf die letztere Variante nicht mehr ein, weil man als Mieter dann auf die gesetzlich festgesetzte lächerlich niedrige Miete klagen könnte. Am günstigsten ist es noch — eventuell mit einem Bankkredit für’s erste Eigenheim für Familiengründer — ein appartamento zu kaufen und es vielleicht den Sommer über schwarz an deutsche oder amerikanische Touristen unterzuvermieten. (Aber aufgepaßt: Vergewissern Sie sich, ob die nicht eventuell nur so tun, als wären sie Touristen! Sonst kriegen sie die, wenn die schlau sind, wegen des Mietgesetzes auf Jahre hinaus nicht wieder aus ihrer Wohnung heraus, und sie zahlen ihnen nur ein paar mickrige Kröten! Während Sie selbst nebenbei steuerlich stranguliert werden!!)

Arbeit: Hier brauchen Sie natürlich Beziehungen, aber glauben Sie bloß nicht, daß ich Ihnen da etwas verrate, wir sind froh, wenn wir selber was wissen. Oder Sie müssen den Arbeitgeber bestechen. Mehr kann ich und können wir leider nicht mehr für Sie tun. Wir wollen nach Europa.

Essen: Falls Sie nun entgegnen sollten, daß sie einfach nur Hunger haben, so ist das, wie man so schön auf deutsch sagt, ihr Bier, und uns ist das ehrlich gesagt scheißegal. Mein capo sagt übrigens immer, was Ihnen in Ihren Ländern fehlt, ist ein unternehmerischer Mittelstand, der durch private Initiative und mit Mut zum Risiko Wohlstand schafft. Haben Sie darüber vielleicht schon einmal ernstlich nachgedacht? Vielleicht ist was dran? Könnte doch sein?!

Meinen Sie wirklich, daß es mir z.B. gut geht? Was soll ich denn sagen? Nun, wo meine Frau nicht mehr putzen gehen kann — ich habe ihr immer wieder gesagt, »Nimm nicht immer soviel Schlaftabletten!«, aber sie will, d.h. sie wollte ja nie auf mich hören —, weiß ich ehrlich gesagt nicht mal mehr, wie ich als unbezahlter steuerpflichtiger free-lance-Informationskritiker auch noch den Schreihals auf der Pritsche da neben mir durchfüttern soll.

Hier ist also sozusagen auch ganz schön Kacke am Dampfen. In gewissen Augenblicken bekomme auch ich gar schon Lust, mir eine Kalaschnikow zu kaufen — oder besser noch eine Heckler & Koch auf Lega-Kredit. Können Sie sich das vorstellen?

Ach was, keine Angst, liebe Gemeinschafts-Leser, ich hab doch bloß Spaß gemacht! Für den kleinen Brüllaffen wird bis zum Anschluß, wenn es wieder aufwärts gehen wird, schon meine Mutter sorgen, die freut sich bestimmt! Er kann von nun an bei ihr im Bett schlafen, dann hat sie Gesellschaft und ich habe endlich mehr Ruhe zum Artikelschreiben für Europa, oder — darauf hat mich übrigens nebenbei die »zirkulierende Plage des Bettplatzrackets« gebracht — ich vermiete den freigewordenen Platz an eine reiche amerikanische Studentin (aber nur wenn’s eine hübsche ist!), mal sehen ...

Ultima ora: 6. Juni 1993: Nun hat Bossi, d.h. sein Parteikollege Formentini, mit den Kommunalwahlen Mailand mit gut 40% der Stimmen wohl für sich. Turin hat er dagegen nicht gekriegt, deswegen hat er heute abend, enttäuscht und den Tränen nahe, im staatlichen Fernsehen [5] — »RAI 2«, gehört praktisch dem altkorrupten Partito socialista Craxis — den Direktor der Turiner Tageszeitung »La Stampa« — gehört praktisch FIAT — ein wenig angemacht: Man hätte ihm nicht genügend Raum gegeben und gar geschrieben, er hätte mit Gewalt gedroht — volksverhetzend! — und wolle Ausländerlager räumen! — polemisch! —; »La Stampa« vertrete nur die Interessen des Großkapitals — recht hat er! Der Direktor der »Stampa« hat sich dagegen verwehrt und ihn für den nächsten Tag zu sich eingeladen, um die vorangegangenen Ausgaben — sozusagen informationskritisch — noch einmal in aller Ruhe durchzugehen. Bossi dazu: nun wäre es sowieso zu spät, und, wörtlich: »Mauro, laß mir wenigstens die Zeit, mir einen Revolver ın die Tasche zu stecken.« Na, da hat er ein bißchen eine Schwäche gezeigt ... Abgesehen davon aber, daß er, wie Sie sicher schon bemerkt haben, nun noch moderater geworden ist — ehrlich gesagt beneide ich ihn schon etwas. Das werden Sie inzwischen wohl auch verstehen: Bei uns in der Redaktion machen die anderen bezahlte Politik und ich, Cattani, mache unbezahlte Informationskritik. Er dagegen darf beides tun, und wie! Und keiner grinst ihn hämisch an, und er hat nicht nur ab und zu einen Revolver und immer mehr Geld in der Tasche — wahrscheinlich Supermark, die ich für die Beerdigung meiner Frau jetzt verdammt gut gebrauchen könnte — wenn Sie wüßten, was eine Bestattung hier kostet! — und keine hinter vorgehaltener Hand tratschenden Nachbarn, sondern auch das allerallerwichtigste hat der Faschist (der Faschist ist nur ein Scherz, den nehme ich morgen vielleicht wieder zurück): Den Mob auf seiner Seite.

Camillo Cattani, Als free-lance-Journalismuskritiker unbezahlt steuerpflichtig in Milano, Europe

[1Knaurs Lexikon 1969, S. 472

[2L’Unità, 10.5.1993, S. 8

[3L’Unità, 10.10.1992, S. 3

[4»Il Resto del Carlino«, 12.5.1993, S. 6

[5Tg 2 Pegaso, 6.6.1993

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